Endlich einzigartig
Mein Fahrrad, mein Turnschuh, mein Mini-Ich: Individualisierte Spezialanfertigungen erobern die Welt. Auch dank des 3-D-Drucks können Produkte immer passgenauer auf Kunden zugeschnitten werden. Technisch gibt es kaum Grenzen, rechtlich aber schon. Auch deshalb konsolidiert sich der Markt. Doch viele Anbieter sehen längst ein noch größeres Potenzial.
Swann und Miró Rack sehen sich extrem ähnlich. Tino und Toni Weidt auch. Dass beide Brüderpaare ihr Geld mit einem Geschäftsmodell verdienen, dass auf Ähnlichkeit setzt, ist feine Ironie. Sie alle arbeiten in der 3-D-Druck-Branche und produzieren individuelle kleine Figuren, die ihren menschlichen Vorbildern bis aufs Haar gleichen.
Ein Trend, der seit etwa drei Jahren den deutschen Markt flutet. Dabei steht der 3-D-Druck noch relativ am Anfang. Die meisten Anbieter wissen, dass das innovative Potenzial mit den kleinen Figuren längst nicht ausgereizt ist. Richtig spannend wird es erst, wenn die Technologie in anderen Bereichen angewendet wird: zum Beispiel in der Industrie oder in der Medizin. Dann könnten aufwendige Bauteile, künstliche Prothesen und sogar Organe gedruckt werden.
Bei einem Standard-3-D-Figuren-Druck werden bis zu 40 Figuren in einem digitalen Bauraum gesammelt, bevor sie dann gleichzeitig gedruckt werden. Dabei besitzt der Drucker das klassische CMYK-Farbmodell. Die Figuren werden in etwa 0,1 Millimeter feinen Schichten gedruckt, wobei ein Gips-Kunststoff-Pulver verwendet wird. Danach werden die Figuren händisch gereinigt und nachbearbeitet, dann getrocknet sowie durch Flüssigkleber gefestigt. Dabei erhalten sie auch ihre finale kräftigere Farbe.
Importierte Technik
Wie viele andere futuristische Technologien stammt auch die der kleinen 3-D-Figuren aus Japan. Zahlreiche deutsche Start-ups tüftelten vor etwa vier Jahren gleichzeitig daran, die Technik nach Deutschland zu bringen. Tino Weidt erinnert sich an eine Reportage über Scan-Kabinen, die ihn damals beeindruckt hat. Da war er noch BWL-Student in Berlin. „Es stand schon immer fest, dass wir gründen wollten“, sagt der 33-Jährige und meint mit „wir“ seinen Zwillingsbruder Toni und den gemeinsamen Studienfreund Viet Hoang Huy. Und nun hatten sie eine Idee.
In ihrer Abschlussarbeit erstellten sie einen Businessplan, aus dem kurz darauf ihre Firma 3DyourBody hervorgehen sollte. Allerdings kam ihnen, während sie noch ganz klassisch Eigenkapital für ihr Start-up sammelten, die Konkurrenz zuvor.
Kamera auf Schlitten
3DyourBody ist einer von zahlreichen Anbietern von lebensechten 3-D-Figuren zwischen 5 und 35 Zentimetern Größe. Als Start-up wurde die Firma im Mai 2014 von den Brüdern Tino und Toni Weidt sowie Viet Hoang Huy gegründet. Im Jahr 2018 eröffnen in Deutschland bereits die Standorte sechs bis acht, auch den englischen Markt möchte 3DyourBody in Kürze angreifen. Das Unternehmen hat mittlerweile zwölf Mitarbeiter.
Konkurrierende Anbieter von 3-D-Figuren benötigen Firmen wie die Holocreators der Brüder Rack, die zwischen Scan und Druck geschaltet werden, um Artefakte herauszurechnen und die 3-D-Modelle mittels Bildbearbeitung zu verbessern. Denn bei den zusammengesetzten Bildern der Photogrammetrie fehlen oft die richtigen Dimensionen. Zudem wird es problematisch, wenn sich Menschen – etwa Hochzeitspaare – einfarbig einscannen lassen und dem Programm somit die Orientierungspunkte auf der Kleidung fehlen.
3-D-Figuren sind erst der Anfang
Die Nachfrage nach 3-D-Figuren ist hoch. Bislang hätten alle Anbieter zusammen in Bezug auf die deutsche Bevölkerung erst einen Teil im Promillebereich gescannt und gedruckt, weiß Tino Weidt. Trotzdem hat die Hälfte der Konkurrenz in dem umkämpften Segment bereits wieder aufgegeben: Hohe Kosten und ein harter Preiskampf konsolidieren den Markt.
Doch die 3-D-Figuren sind nur der Anfang. Hohe Kosten und ein harter Preiskampf konsolidieren den Markt. Justus Bobke, Vorsitzender des vor zwei Jahren gegründeten Verbands 3DDruck, erklärt, dass es nun darum gehe, das riesige Potenzial auszuschöpfen und den 3-D-Druck als Zukunftsfeld zu positionieren. „Produktionsprozesse gehen ins Individuelle“, sagt Bobke, eine Aufsplittung finde sehr stark statt. Er kann sich die Anwendung des 3-D-Drucks vor allem in der Orthopädie und Materialforschung sehr gut vorstellen. Bis gedruckte Produkte alltäglich werden, wie es bereits viele Experten vorhersehen, müsse allerdings Rechtssicherheit herrschen, was die Marken- und die Patentrechte betrifft. Auch die Vision, dass irgendwann jeder Privathaushalt einen eigenen 3-D-Drucker besitzt, sei deshalb noch unwahrscheinlich. Viel eher würden Dienstleister den Bedarf abdecken.
„Die ganze Technologie ist ja eigentlich schon dreißig Jahre alt, aber erst jetzt kommt richtig Bewegung rein“, sagt Tino Weidt. Auch er hat große Ziele: dass sein Scanner körperbezogene Daten zur Verfügung stellen kann, könnte sowohl in der Medizin als auch in der Fitness- und Modeindustrie genutzt werden. So könnten Kunden endgültig perfekt passende Kleidung online erwerben. „Bislang hat der Online-Handel ja vor allem mit den Retouren zu kämpfen“, führt er aus. Und von wie Puppen anziehbaren Avataren kommt er sogleich auf Computerspiele und virtuelle Realität. „Bald kannst du dich wirklich selbst spielen, das macht das Erlebnis noch realer und individueller.“
Me-Marketing
Christian Rätsch, CEO von Saatchi & Saatchi Deutschland, hatte vor gerade einmal vier Jahren über den „Megatrend“ der Individualisierung und Personalisierung geschrieben. Dabei meinte er aber selbst zusammengestelltes Müsli, bestickte Kleidung, Briefmarken, Fotobücher oder Tassen mit dem eigenen Konterfei. Auch den 3-D-Druck hatte Rätsch im Jahr 2014 schon im Blick. Wie schnell dessen Entwicklung dann aber voranschritt, hat selbst ihn überrascht, gibt er offen zu. „Anfangs habe ich vor allem an die Hardware gedacht, aber jetzt reden wir von der Software“, sagt Rätsch.
Heute sieht er im „Me-Marketing“ einen unaufhaltsamen Trend, bei dem Anbieter mittels Algorithmen einerseits darauf ausgerichtet sind, die richtige Botschaft auf dem richtigen Kanal im richtigen Kontext individuell und persönlich anzusprechen. Durch die Marketing-Automatisierung würden die Anbieter schon „vor der Kommunikation die Bedürfnisse der Kunden kennen“. Früher haben Nutzer gerade im Internet nach Inspiration gesucht, heute erhalten sie fast nur noch Selbstbestätigung. „Es wird immer Massenprodukte geben, aber die Firmen gewinnen, die Daten analysieren und digitalisieren“, ist sich Rätsch mittlerweile sicher.
Die individuelle Note
Mit Software meint der Kommunikationsexperte aber auch etwas anderes: Denn Produkte lassen sich längst nicht mehr nur bei äußeren Merkmalen wie der Farbe, Form oder Material personalisieren. Rätsch verwendet dabei gerne das Beispiel des Autos, eines der beliebtesten Statussymbole der Deutschen. Schon seit Jahren ist es ohne Probleme möglich, dass nach Wunsch des Konsumenten das Radio, die Felgen, die Sitzbezüge und viele weitere Sonderausstattungen ausgewählt werden können. Doch mittlerweile würden einem die Hersteller noch viel mehr technische Extras mit individueller Note anbieten, Sitzheizungen, die sich an äußeren Bedingungen und persönlichen Vorlieben orientieren.
Auch die Holocreators, die 3-D-Figuren als ihr „Brot- und Buttergeschäft“ verstehen, sind längst einen Schritt weiter. Seit Kurzem spezialisiert sich die Firma der Brüder Rack auf Ersatzteile: nicht von Serienmodellen, weil das patent- und markenrechtlich gar nicht ginge, sondern etwa von alten Maschinen. „Da waren wir die ersten in diesem Segment“, erzählt Swann Rack und führt aus, wie man dank Reverse Engineering die Bauteile sogar noch verbessern könne: durch besseres Material oder eine bessere Konstruktion an den Sollbruchstellen. In solchen Fällen würde sich die teure Reproduktion auch lohnen, denn noch kann der 3-D-Druck die Preise der Massenproduktion nicht mitgehen. „Es muss immer etwas sein, das nicht auf Lager erhältlich ist“, weiß Rack. Irgendwann solle es das Ziel sein, dass ein Mixer nicht wegen eines kaputten Einzelteils neu gekauft werde, sondern dass es sich lohne, es reproduzieren zu lassen. Bislang gehe es eher – bildlich gesprochen – um ganze Küchen, die niemand wegen einer kaputten Schraube austauschen würde.
Die Holocreators wurden im Mai 2015 von Swann Rack gegründet, der sich in seiner Freizeit lange Jahre mit Hologrammen beschäftigt hat. Heute wirken sie in einem kleinen Büro in einem Hinterhaus in Berlin-Kreuzberg als Schnittstelle zwischen 3-D-Scannern und -Druckern und optimieren die erstellten Scans. Mit dem Prinzip des Reverse Engineering haben sie sich mittlerweile auch darauf spezialisiert, kaputte Teile für alte Maschinen zu reproduzieren.
Einig sind sich alle darin, dass es immer wichtiger wird, individuelle und personalisierte Lösungen zu finden, und dass der 3-D-Druck immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. „Das ist kein Hype oder nur ein Trend, das alles wird irgendwann normal sein“, ist sich Tino Weidt und meint mit „irgendwann“: schon bald.
Text: John Hennig
Fotos: 3DyourBody