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Podcasts: auf der Tonspur

Der Spiegel tut es. Die FAZ auch. Und Jan Böhmermann sowieso. Die Podcast-Welle hat Deutschlands Medienbranche erreicht. Wieso sind Audioformate so erfolgreich? Und welche deutschen Podcasts lohnen sich? 

„Video killed the radio star” hieß es Ende der 1970er. Der Song der Buggles stand für den Aufstieg des Musikfernsehens. Heute wissen wir: Wenn jemand gestorben ist, dann das Musikfernsehen. Dem Radio hingegen geht es prächtig. Nicht nur sind die Hörerzahlen der traditionellen Radiosender seit Jahren stabil, das Medium hat sich auch neu erfunden — mithilfe des Internets.

Was ist podcasting? Geschichten erzählen!

Geräte wie der iPod, das Breitbandinternet und RSS- Feeds legten in den frühen 2000ern den technologischen Grundstein für das, was heute „podcasting“ heißt: Menschen erzählen Geschichten oder unterhalten sich, nehmen sich dabei auf und stellen das Ergebnis in Form von Episoden ins Netz. Hörer können die Audioinhalte mithilfe von Apps abonnieren und werden automatisch über neue Folgen informiert.

Das Format boomt. Nicht nur klassische Radios produzieren Podcasts. Auch Verlage und Macher ohne Audio- und Medienerfahrung greifen zum Mikrofon. Und manche erreichen damit Millionen von Hörern.

„Podcasts sprechen die zwei Obsessionen der Moderne an: konstante Unterhaltung und konstante Flucht“, so jüngst ein Artikel im New York Magazine. Soll heißen: Podcasts finden Platz in Alltagssituationen, in denen die Langeweile regiert — beim Autofahren zum Beispiel oder beim Bügeln. Denn wer Podcasts hört, wird unterhalten und hat dabei die Hände frei. Aber auch die Augen: Hörer entkommen damit den allgegenwärtigen Bildschirmen. Kurzsichtige Augen und Gedanken können in die Ferne schweifen.

Kann das nicht auch Radio? Ja, aber Podcasts nehmen sich Zeit. Viel Zeit. Episoden sind mal 15 Minuten, mal mehrere Stunden lang. Podcasts sind persönlicher, wid- men sich Nischenthemen und erzeugen Intimität wie kein anderes Format. Fragt man Fans, hört man nicht selten: Wenn ich Podcasts höre, fühle ich mich weniger allein.

Die besten Podcasts kommen aus den USA

Die besten werden nach wie vor in den USA produziert. Netzwerke und Studios wie Radiotopia, Luminary und Serial Productions versammeln die Crème de la Crème der

Podcast-Welt. Produktionen wie „S-Town“, „Serial“ und „This American Life“ wurden im ganzen Land zu Gesprächsthemen und fanden Fans weltweit. In Sachen Suchtfaktor stehen sie TV-Serien wie „Game of Thrones“ in nichts nach.

Was genau einen guten Podcast ausmacht, ist schwer zu sagen. In manchen Fällen handelt es sich um erstaunlich ehrliche Interviews mit Experten, Künstlern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens. Andere Podcasts sind liebevolle Audioreportagen, nah an der Klangkunst. Wieder andere sind perfekt umgesetzte, absurde Ideen wie „Everything is Alive“. Für den Radiotopia-Podcast werden Gegenstände interviewt, von der Coladose bis zur Straßenlampe.

Weil das Format dank Audiowerbung auch wirtschaftlich erfolgreich ist, wächst die Branche schnell. Erfahrene Podcaster gründen Produktionsstudios. Risikokapitalgeber investieren Millionen. Die ersten Beobachter des amerikanischen Markts sprechen von einer Blase. Aus der Leidenschaft einiger weniger ist eine Industrie geworden. Im Februar 2019 kaufte Spotify die Podcast-Produktionsfirma Gimlet für 230 Millionen US-Dollar.

Auch in Deutschland sprießen Podcasts mittlerweile wie Pilze aus dem Boden. Es gibt zahlreiche nachrichtliche Podcasts von erfahrenen Medienmachern wie „Lage der Nation“, „Eine Stunde History“ und „Mono“ — und Blödel-Podcasts, in denen viel geredet und manchmal auch unterhalten wird. An die amerikanischen Produktionen reichen die deutschen jedoch bisher nicht heran.

„Noch hat kein Werbekunde den Mut, solch aufwendige Formate zu präsentieren“, sagt Christian Bollert, Chef des Internetradios Detektor.fm. „Die etwas aufwendigeren Produktionen kommen noch von den öffentlich-rechtlichen Sendern und Streamingdiensten wie Spotify und Deezer.“ Bollert und seine Kollegen konzentrieren sich deswegen bisher auf journalistische Podcasts. „Aber wir bekommen mittlerweile jede Woche eine spannende Anfrage ins Haus. Das Ding geht gerade erst los in Deutschland.“

Fest & Flauschig

Der bisher einzige Kultpodcast in Deutschland: In „Fest & Flauschig“ reden TV-Moderator Jan Böhmermann und Musiker Olli Schulz einmal die Woche über Gott und die Welt. Nicht selten senden die beiden aus ihren Hotel- zimmern. Es geht um Privates und das politische Geschehen der vergangenen Woche. Die beiden kommentieren, über- treiben, schweifen ab. Blödelei wird hier zur Kunstform.

„Fest & Flauschig“ wird exklusiv für Spotify produziert und ist nur dort zu finden. Der Podcast ist die weltweit erfolgreichste Eigenproduktion des Streamingdienstes. Überraschend ungelenk ist die Einbindung von Musik- stücken. Böhmermann und Schulz moderieren regelmäßig Titel an, ‚unterbrechen‘ dann aber die Sendung und bitten Hörer, die Songs auf einer angelegten Spotify-Playlist zu finden und abzuspielen. Aus Lizenzgründen dürfen die Stücke nicht im Podcast abgespielt werden.
festundflauschig.de

Hotel Matze

Das Konzept ist so simpel wie erfolgreich: ein Gast, ein Moderator. Mathias „Matze“ Hielscher befragt deutsche Künstler und Unternehmer. Allerdings ist dieser Interview-Podcast Balsam für die Seele. Hielscher schließt Menschen auf wie kein Zweiter. Ohne zu urteilen, stellt der Moderator die richtigen Fragen, hakt zart nach oder sagt auch mal gar nichts. Dabei ist Hielscher kein traditioneller Journalist. Bis 2010 spielte er als Bassist in der Indie-Pop- Band Virginia Jetzt!.

Hielscher begegnet seinen Gästen mit fast therapeutischer Ruhe. Das Ergebnis ist eine Ehrlichkeit, die man in der Medienlandschaft kaum noch findet. Nora Tschirner, Tom Schilling, Lars Eidinger: Sie alle waren schon im „Hotel Matze“ und haben die Hosen heruntergelassen. Der Podcast ist Teil des Eventportals „Mit Vergnügen“, das Hielscher nach dem Ende seiner Musikkarriere gegründet hat.
mitvergnuegen.com/hotelmatze

Drei Väter

Gleichberechtigung im Jahr 2019: Männer sollten genauso viel Zeit in Kindererziehung investieren wie Frauen. Darin sind sich die Väter Axel Rahmlow, Jonas Leppin und Markus Dichmann einig. Aber wie sieht das in der Praxis aus? Wie fühlt sich das an? Und wo lauern Schwierigkeiten?

Dem gehen die Journalisten in „Drei Väter“ auf den Grund. Der Podcast entsteht für Spiegel Online. Zwei der drei Macher sind jedoch erfahrene Rundfunkjournalisten. Die Gespräche der „Drei Väter“ sind demzufolge nicht nur sehr persönlich. Der Podcast ist auch liebevoll produziert und verlässt regelmäßig das Studio. Die drei Männer hören sich auf der Straße um, interviewen Hebammen und Männerberater. Und sie überlassen ihren Partnerinnen das letzte Wort. Am Ende jeder Folge fragen die Herren „Wie waren wir?“ und kassieren da nicht nur Lob.
spiegel.de/thema/drei_vaeter_ein_podcast

Herrengedeck

„Sie wohnen in Berlin. Sie machen was mit Medien. Sie sind Frauen. Drei gute Gründe, diesen Podcast nicht zu hören.“ — heißt es in der Selbstbeschreibung von „Herrengedeck“. Knapp 100.000 Hörer interessiert das nicht und warten sehnsüchtig auf jede neue Folge des Podcasts von Ariana Baborie und Laura Larsson. Uneitel und eloquent reden die beiden über sich, über Alltagserfahrungen und Tagesaktuelles und wollen damit vor allem eins: unterhalten.

Hier ein Wortwitz, da eine Prise Denglisch — der Podcast ist ein ein- bis zweistündiger, ungebremster Redefluss. Dass „Herrengedeck“ funktioniert, liegt am Charme und den Stimmen der beiden Moderatorinnen. Und daran, dass der Name Programm ist: Barborie und Larsson sind nie nüchtern, wenn sie gemeinsam senden. Prost!
herrengedeck24.de

know!s howHow to podcast

Brauche ich ein Tonstudio, um einen Podcast zu produzieren?

Nein. Für einen guten Sound reichen ein vernünftiges Mikrofon und ein Kleiderschrank voller Handtücher oder Hemden. Auch Aufnahmen vor einem Bücherregal können satt klingen. Faustregel: glatte Flächen vermeiden. Wenn ein Raum hallt, wenigstens alle Schubfächer und Schranktüren aufmachen, um die Akustik zu verbessern.

Welche Mikrofone sind denn ‚vernünftig‘?

Die Podcast-Profis von „This American Life“ nutzen die digitalen Aufnahmegeräte Marantz PMD 661 und Zoom H6 mit eingebauten Mikros. Für Interviews lohnen sich zusätzliche externe Mikrofone wie das Audio Technica 835B oder das Sennheiser MD46. Weitere Techniktipps für Einsteiger (und Profis) gibt es unter sendegate.de.

Womit schneide ich mein aufgenommenes Material?

Einige Podcaster setzen auf die Software Ultraschall. Teurer, aber genauso praktisch und einfach zu bedienen, sind Ableton Live und Hindenburg Pro. Mac-User können auch auf Garage Band zurückgreifen. Aber Vorsicht beim Schnitt: Nicht alle „Ähs“ und schweren Atmer herausschneiden. Sonst klingt ein Gesprächspartner schnell unnatürlich.

Wo publiziereich meinen Podcast?

Für das sogenannte Hosting von Podcasts gibt es zahlreiche Anbieter wie Podigee oder Soundcloud. Hier können Audiodaten hochgeladen und RSS-Feeds erstellt werden. Für mehr Sichtbarkeit können Podcasts dann zum Beispiel auch bei iTunes eingereicht werden.

Text: Marten Hahn
Screenshots: LauferNeo