Kontraste: holzschnittartig
Wenn wir heute das Adjektiv „holzschnittartig“ einsetzen, dann denken wir die Synonyme grob, rudimentär, undifferenziert mit, denn so beschreibt es der Duden. Dabei nutzen wir auch heute noch die vereinfachende Form des maximalen Kontrastes von Schwarz und Weiß für QR- oder EAN-Codes. Irritierend wird unsere Sichtweise, betrachtet man einen der berühmtesten Holzschnitte aus dem Werk von Albrecht Dürer, neben den apokalytischen Reitern, das „Rhinocervs“ aus dem Jahr 1515, der alles andere als grob und rudimentär ist. Da ist der Holzschnitt gerade mal rund 115 Jahre alt, denn um 1400 wurde er erfunden. Zunächst wurden damit vor allem profane Dinge, wie Spielkarten, Kalenderbilder oder Andachtskarten gefertigt. Die Zeichnung wird seitenverkehrt angelegt und in weiches, möglichst fein gemasertes Holz geschnitten. Dabei bleiben die Zeichnungslinien erhaben, die Farbe wird aufgetragen und auf ein saugfähiges Papier umgedruckt.
Die Menschen gaben sich aber nicht lange mit der kontrastreichsten Form zufrieden, sondern schon um 1510 entwickelten Lucas Cranach d. Ä. und Hans Burgkmair den Halbtonholzschnitt. Die beiden Künstler fertigten für ein und das gleiche Bild mehrere Holzschnitte, die sie in unterschiedlichen Grautönen übereinander druckten. So schafften sie immer realistischere Abbilder und lösten das Problem des Schwarz-Weiß-Kontrastes. Der Holzschnitt wurde später vom Kupferstich abgelöst, erlebte aber Anfang des 20 Jahrhunderts in der Phase des Expressionismus eine neue Blüte, angeregt durch die zu derzeit beliebten Farbholzschnitte aus dem asiatischen Raum. Bis heute hat sich allerdings das Adjektiv „holzschnittartig“ fest in unseren Sprachgebrauch eingebrannt und ist, nutzen wir es mit dem Synonym Charakter, nicht gerade schmeichelnd. Und bei jedem Piepton an der Supermarktkasse vertrauen wir auf den holzschnittartigen EAN-Code.
— — —
Fotos und Illustrationen
01: Holzschnitt „Große Ansicht von Köln“, 1531
Anton Woensam, gescannt von Wolpertinger aus dem Buch Müller-Baden, Emanuel (Hrsg.): Bibliothek des allgemeinen und praktischen Wissens, Bd. 2. – Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Deutsches Verlaghaus Bong & Co, 1904. – 1. Aufl.; gemeinfrei
02: Ein Holzschnitt von Albrecht Dürer „Das Rhinocerus“ (1515);
Scan von moenez/shutterstock.com
03: Die Atmosphäre. Holzschnitt. Abgebildet in: Camille Flammarion: L’atmosphère météorologie populaire. Paris 1888.; gemeinfrei
04: Ein Toter wird untersucht – Holzschnitt um 1535; gemeinfrei
05: Bergbau: Erzsucher, Holzschnitt, Georg Agricola in De re metallica, Libri XII. Basilea, 1556; gemeinfrei