Digitalagentur
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Die Zukunft des Büros

Wer heute die besten Arbeitnehmer für sich gewinnen will, muss nicht nur interessante Jobs und gute Bezahlung bieten, sondern auch ein modernes Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeiter wohlfühlen. Dass das Zauberwort für flexibles und gesundheitsförderliches Arbeiten nicht immer nur Homeoffice heißen muss, beweisen das Fraunhofer Institut in Stuttgart und das Sentinel Haus Institut in Freiburg. Sie erforschen die Büros der Zukunft.

Matthias Bues hat auf der Kommandobrücke alles unter Kontrolle. Spielend verschiebt er auf dem Tisch mit dem Finger die Objekte, zieht eine Datei mittig auf der Oberfläche größer, öffnet eine Karte und zeigt in die Zukunft. „Sehen Sie, all das gibt mir doch eine viel größere Flexibilität“, freut sich Bues. Bis auf die Tischoberfläche, auf die alle Applikationen projiziert werden, hat er während seiner Demonstration nichts berührt. Nun breitet sich virtuell der Lageplan des Zentrums für Virtuelles Engineering (ZVE) vor ihm aus. Hier im Stuttgarter Südwesten erforscht das Fraunhofer Institut die Lebens- und vor allem die Arbeitswelt der Zukunft.

Und Bues lebt bereits mittendrin. Der Teamleiter für Visuelle Technologien hat den Schreibtisch als eine per Berührungen steuerbare interaktive Arbeitsfläche miterdacht. „Es ist doch seltsam, dass sich die heutige Arbeits- und Bürowelt gar nicht groß verändert hat“, wundert er sich darüber, dass viele Arbeitsplätze immer noch den starren Aufbau aus dem Ende des 20. Jahrhunderts besitzen. Dabei hat die Digitalisierung seitdem enorm an Geschwindigkeit gewonnen und die Lebensrealität der Menschen stark verändert: Kommunikation findet schon seit 20 Jahren quasi überall statt, auch das Arbeiten ist mittlerweile oft vollkommen unabhängig von einem festen Arbeitsplatz. Es gibt Großraumbüros, Coworking Spaces und das Homeoffice.

Science-Fiction-Schreibtisch

Während die Software-Lösungen bereits ordentlich vorangekommen sind, hinkt die Hardware teilweise noch arg hinterher. „Gerade beim User Interface haben wir bislang nicht Schritt gehalten“, ärgern Bues die Beschränkungen. Kleinere Modifikationen wie zwei oder drei Bildschirme seien schon ein Fortschritt, aber eben auch nur ein Zwischenschritt bis zum virtuellen Büro. Deshalb entwickeln Bues und sein Team gerade erweiterte Schreibtisch- und Projektionslösungen.

Das klingt teilweise noch sehr futuristisch. „Manche Konzepte stammen tatsächlich aus Science-Fiction-Filmen, oder man hat sie dort erstmals umgesetzt gesehen“, erklärt Bues. Allerdings sei die Forschung keinesfalls experimenteller Selbstzweck, sondern im Gegenteil äußerst nutzerzentriert. „Von den Anwendern bekommen wir die besten Rückmeldungen. Sie haben die spezifischen Probleme, die wir lösen sollen.“

Bues ist sich sicher, dass der interaktive Schreibtisch in gar nicht allzu ferner Zukunft zum Standard werden könnte. „Die neue Technologie wird zunächst bei teuren Arbeitsplätzen eingesetzt, bei Ingenieuren oder Architekten, wo sich die Investition lohnt und die Kosten schnell amortisieren“, erklärt er. Aber innerhalb der nächsten Dekade solle Bues’ Lösung auch den Weg in die normalen Büros finden.

Den ersten Prototypen im Bereich Extended Workdesk haben Bues und sein Team 2012 vorgestellt. „Das zeigt, dass all das generell noch sehr neu ist, aber wir forschen durchaus schon eine Weile.“ Bues ist als Kommandeur der Visuellen Technologie nur Teil einer interdisziplinären Crew. Das ganze Zentrum für Virtuelles Engineering mit seinen 3.200 Quadratmetern Nutzfläche sei eine riesige Spielwiese, sagt Mitja Jurecic, in der Forscher wie Bues experimentieren, visualisieren und umsetzen können.

Individuelle Lösungen: Office 21

Jurecic, der unter anderem Innovationsmanagement studiert hat, führt das Verbundforschungsprojekt Office 21. „Wir sehen uns selber als Impulsgeber“, sagt er, betont aber zugleich, dass es auch andere Vorreiter gebe, vor allem in den skandinavischen Ländern oder in den Niederlanden. „Früher ging es viel um die reine Performance der Mitarbeiter, aber irgendwann haben die Betriebe verstanden, dass auch weiche Faktoren zählen“, erklärt Jurecic, „nämlich Wohlbefinden, Motivation, Kreativität, Zufriedenheit und Kommunikation“. Um die besten und fähigsten Köpfe zu bekommen, müsse man um sie werben und ihnen ein perfektes Arbeitsumfeld bieten. Dazu gehöre natürlich auch die zeitliche und räumliche Freiheit.

Office 21

In dem Verbundforschungsprojekt entwickelt das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart gemeinsam mit über 20 Partnerunternehmen praktische Szenarien und Konzepte für die moderne Arbeitswelt. Der Fokus der Forschung liegt auf der Verbesserung von Kommunikation, Konzentration, Wohlbefinden, Produktivität, Motivation, Kreativität und Innovation. Am Fraunhofer IAO arbeiten insgesamt etwa 650 Menschen, mehr als ein Drittel davon sind wissenschaftliche Mitarbeiter, vorwiegend Ingenieure, Informatiker, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, wobei das Institut auch mit dem Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT der Universität Stuttgart kooperiert. Am 1. und 2. Februar 2018 veranstaltet das Fraunhofer IAO unter dem Titel „Zukunftsräume schaffen! Neue Perspektiven für die Arbeit“ in Stuttgart das Zukunftsforum 2018: www.iao.fraunhofer.de/vk442.html

 

Dabei erhebt das Institut keinen Anspruch darauf, dass im Workspace Innovation Lab die allgemeingültigen Prototypen für zukünftige Büroräume entworfen werden. „Es gibt nicht das eine Konzept“, weiß Jurecic. Vielmehr gehe es um individuelle Lösungen, das ganzheitliche Zusammenspiel aus organisatorischen, kulturellen, räumlichen und technischen Möglichkeiten.

Vom Menschen aus denken: My Future Office

Ähnlich ist der Ansatz von My Future Office. Dahinter steht das Sentinel Haus Institut aus Freiburg mit seinen Forschungsprojekten „Gesünderes Kinderzimmer“ und „Gesündere Bildungsstätten“. Daraus entstand vor zwei Jahren die Projektidee, die Forschung auf gesündere Arbeitsplätze auszuweiten.

Einer der Initiatoren und ersten Partner war Rolf Brunkhorst, Leiter für Nachhaltigkeit beim Systemhaus für Fenster, Türen und Fassaden Schüco: „Wir hatten den Anspruch, im Bereich gesünderer und attraktiver Bürogebäude für unsere Branche Vorreiter zu sein. Die Bauwirtschaft investiert bei Gebäuden viel in die Infrastruktur und Energie, aber bei der Gesundheit und Produktivität der Büromitarbeiter haben wir sicher noch Potenzial.“

My Future Office

Das Forschungsprojekt hat das Ziel, Büroimmobilien gesünder, rentabel und praxistauglich zu machen. Dafür agieren unter anderem Baustoffhersteller und Anbieter von Raumsystemen als Partner. Unterstützt wird das Projekt durch einen Hersteller-, Architekten- und Investorenbeirat. Untersucht werden unter anderem die Qualität der Innenraumluft, die Raumakustik, der thermische Komfort, der Schallschutz, die Barrierefreiheit, die Nachhaltigkeit, die Ökobilanz und die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter, aber auch die monetäre Wertsteigerung der Immobilie durch den verbesserten Bau. Die Sentinel Haus Institut GmbH ist aus einem Forschungsprojekt der Deutschen Bundestiftung für Umwelt entstanden und arbeitet seit 2008 mit zahlreichen universitären Forschungseinrichtungen, Juristen, Umweltmedizinern und Baupraktikern an einer Weiterentwicklung von gesünderen Innenräumen.

 

My Future Office denke den Arbeitsplatz deshalb vom Menschen aus, sagt Peter Bachmann, Gründer und Geschäftsführer des Sentinel Haus Instituts, und betont: „So muss man Gebäude auch denken“. Was wie eine Plattitüde klingen könnte, ist tatsächlich eine Erkenntnis. Denn ganz oft werde der Mensch bei Planungen vergessen, bei der Energieeffizienz sogar rausgerechnet, erklärt Bachmann.

Gesünder gebaute Gebäude

Dabei geht es My Future Office vor allem um die räumliche Umwelt: Wie plant oder saniert man ein Gebäude, das Mitarbeitern optimale Arbeitsbedingungen bieten soll? Klima, Licht und Luft, aber auch die Baustoffe sind der Schlüssel. Brunkhorst findet am spannendsten, dass „gar nichts mehr erfunden werden muss“. Die Produkte würden alle schon angeboten, man müsse nur wissen, welche die besten seien. Dafür hat das Sentinel Haus Institut gemeinsam mit dem TÜV Rheinland die wohl größte Datenbank des Landes über Bauprodukte und -stoffe zusammengetragen. Wenn mit schadstoffärmeren Produkten gearbeitet werde, stehe „unterm Strich auch eine Rendite“, regt Brunkhorst an, denn gesünder gebaute Gebäude verlören auch nach einigen Jahren nicht an Attraktivität. Bachmann betont: „Wir wollen aber keine Erwartungen schüren, die nicht erfüllt werden können: Es gibt keine komplett schadstofffreien Produkte.“

Nach ähnlichen Überlegungen, wie sie My Future Office anstellt, entwarf Stararchitekt Ben van Berkel auch das Zentrum für Virtuelles Engineering (ZVE). Die futuristische Architektur des 2012 eröffneten Baus setzt Maßstäbe. Mitja Jurecic flaniert über die offen gestalteten Gänge des Zentrums, vorbei an wie Ziehharmonikas auseinanderklappbaren und verschiebbaren Trennwänden aus Pappmaschee. Beim Blick in eines der Büros lächelt er kurz auf: „Ich merke, dass wir eigentlich schon wieder eine veraltete Arbeitswelt haben. Die Forschung in unserem Gebiet ist so rasant, wir sind ja nie fertig.“

Text: John Hennig
Foto: Gerald von Foris