Der Glaube an die eigene Idee – Die Geschichte von Andreas Nau und Jochen Reidegeld
»Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft«, »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«. Diese und viele weitere bekannte Sprichwörter machen deutlich, dass man etwas zustande bringt, was vorher rational gesehen undenkbar, aussichtslos oder besonders schwierig schien.
Wir machten uns auf die Suche nach Antworten. Wir sprachen mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Lebensphasen. Mit Unternehmern, Initiatoren, Gründern und alten Hasen. Eine Reportage über Durchhaltevermögen, sinnstift ende Ideen, Hingabe und echte Überzeugungen.
Der Ursprung der Überzeugungen
Bei Andreas Nau fängt die Geschichte mit der Idee, ein Unternehmen zu gründen, ähnlich an, auch wenn es sich dabei um die Entwicklung von Ausbildungs- und Weiterbildungssoftware dreht. Doch die echte Überzeugung und der feste Glaube entstehen bei ihm viel später, ausgelöst durch eine handfeste Krise. 2008 steht Andreas Nau als Unternehmer und Privatmann vor dem Abgrund: Nicht nur die Insolvenz schwebt über seiner Softwareschmiede easySoft, auch als Mensch droht er in vielen Lebensbereichen an sich selbst zu scheitern. Der gelernte Lehrer für Pflegeberufe entwientwickelte in den Neunzigerjahren aus der Not heraus eine Datenbank für die Verwaltung der Weiterbildung und Schulung seiner Schüler*innen. Heutzutage gängige Praxis, war es damals noch echte Arbeit, die Daten händisch nachzuhalten. Basierend auf diesen ersten Erfolgen machte sich Andreas Nau 1994 gemeinsam mit zwei Freunden selbstständig und gründete die easySoft GmbH mit dem Ziel, Bildungssoftware für die verschiedenen Branchen zu entwickeln. Es läuft gut bei dem noch jungen Start-up und die Anzahl der Mitarbeitenden und der Umsatz wachsen. Doch dann nimmt das Unheil seinen Lauf. Verträge mit Kunden wurden storniert, Entwicklungen geraten ins Stocken und die Qualität sinkt. Das Betriebsklima ist auf dem Tiefpunkt und das Unternehmen kurz vor der Insolvenz. Nach vielen Überlegungen und Gesprächen mit seiner Frau kommt er zu dem Entschluss, so geht es nicht mehr weiter. Der Frust übers Scheitern ist hoch und nachdem Andreas auch noch das volle Rotweinglas gegen die Wand schmeißt, weiß er: ich steige aus. Am nächsten Tag teilt er dies seinen beiden Freunden und Geschäftsführern mit. Nach der Schockstarre folgen lange Gespräche auf einem Spaziergang und ein gemeinsames Ultimatum: 6 Wochen alles versuchen, sonst hören wir auf. Dass in den folgenden Tagen ein leerer Messestand und ein Seminar alles veränderten, hätte Andreas Nau wohl selbst nicht geglaubt.
Die Begegnung, die Jochen Reidegeld als einschneidendes Erlebnis vor Augen hat, ist immer noch präsent, auch wenn es schon über 25 Jahre zurückliegt. Der Moment, der ihn seitdem nicht mehr in Ruhe lässt und als Initialzündung für sein Lebenswerk gilt. Es ist das Jahr 1996 und Jochen Reidegeld ist im Urlaub in Sri Lanka – Ayurveda-Kur. Auf einem Strandspaziergang wird er von den Beachboys angesprochen. Neben touristischen Attraktionen wie Bootstouren bieten sie ihm auch Kinder zur Prostitution an. Jochen Reidegeld traut seinen Ohren nicht und will die Situation nicht wahrhaben. Er hält es kaum für möglich und liegt in seinem Bett und sucht nach Antworten. Als er sich im Zuge seines Urlaubes auf die Suche macht, findet er das Rehabilitationszentrum der Salesianer Don Boscos. Dort erfährt er von dem Leid der sexualisierten Gewalt an Kindern. In einem Gespräch mit einem betroffenen Jungen über seinen Leidensweg begreift der Pfarrer in der Tiefe, was für ein schreckliches Verbrechen Kindesmissbrauch darstellt und dass es wirklich existiert. In unserem Interview schildert er die Situation: »Niemals werde ich jene Angst, Wut und Verletztheit vergessen, die aus den Worten, den Augen und dem ganzen Körper dieses Kindes sprach.« Er weiß, er muss etwas dagegen tun und will vor Ort unterstützen. Dass dies der erste Schritt auf dem Weg zur Gründung eines umfangreichen Netzwerkes für Kinderrechte und Kindeswohl ist, ist ihm damals nicht bewusst.
Aller Anfang ist schwer
Nach dem Ultimatum der 3 Freunde zur Rettung des eigenenUnternehmens easySoft, war Andreas Nau noch nicht viel schlauer, wie sie das auch wirklich schaffen sollten. 2 Wochen später findet eine Messe statt, eine Teilnahme eigentlich sinnlos, da die Entwicklung der dort präsentierten Software nicht rechtzeitig fertig wurde. Aber Andreas und seine Kollegen fahren trotzdem hin, die Standmiete war schon bezahlt. Auf der Messe versorgten sie die umliegenden Stände mit Kaffee, denn viele Besucher gab es nicht an ihrem Stand. Andreas schaute die ganzen Messetage auf den Stand des Gabal Verlags. Ein Buch erregte besonders seine Aufmerksamkeit: Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer. »Als ob in einem Buch erklärt werden könnte, wie man Erfolg hat«, dachte sich Andreas süffisant. Am Ende der Messetage durfte er sich am Stand des Gabal Verlags ein Buch aussuchen – der Kaffee hatte wohl Eindruck gemacht. Welches Buch Andreas mitnahm, lag wohl auf der Hand. Und wie der Zufall es will, kann er nicht aufhören zu lesen. Bis um 4 Uhr in der Nacht liest er und schöpft neue Hoffnung. Nicht alles, was er dort liest, löst seine Probleme, aber es weckt Neugierde in ihm und er fragt sich, was ist meine Vision? Wo will ich in 30 Jahren stehen? In den kommenden Wochen macht er sich auf die Suche nach Antworten. Er bucht sich ein Seminar über Motive und Werte im Leben. Er definiert, was für ihn wichtig ist und informiert seine beiden Geschäftspartner. Gemeinsam entwickeln sie die Vision für easySoft.
Für Jochen Reidegeld, sind die schrecklichen Erlebnisse in Sri Lanka immer noch präsent, auch nach seinem Urlaub. Trotz des fordernden Alltags als Pfarrer will er vor Ort in Sri Lanka Hilfe leisten. Durch sein gutes Netzwerk findet er schnell einen Unterstützerkreis und die Arbeit beginnt als Verein »Bosco Sevana«. Doch in der intensiven Beschäftigung mit dem Thema fällt auf, Sri Lanka ist nur ein Mosaikstein. Überall auf der Welt gibt es Kinderhandel und sexualisierte Gewalt. Für Jochen Reidegeld ist es präsenter denn je. Er will helfen und das nicht nur in Sri Lanka, sondern auch hier vor Ort. Er will verhindern, dass Kinder zu Opfern werden. Er findet auf Anhieb viele Menschen, die ehrenamtlich helfen wollen. Der Gründungsort Olfen, eine Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen im Kreis Coesfeld. Auch ein starker Name für die Mission war schnell gefunden: Roter Keil. Der Name stammt vom Symbol des Vereins, welches einen roten Keil zeigt, der einen schwarzen Block des Wegschauens aufbricht. Der Rote Keil lebt von den Menschen, die sich nicht abwenden und die persönlichen Gespräche führen. Aber trotzdem braucht es Aufmerksamkeit, um auch Spenden zu sammeln und mehr Kindern zu helfen. Als begeisterter Fußballfan und Trainer einer C-Jugendmannschaft des VFL Senden, knüpfte Reidegeld damals Kontakte zu BVB-Pressesprecher Josef Schneck. Der zeigte sich von dem, was ihm von Jochen Reidegeld geschildert wurde, so beeindruckt, dass er ihm seine Unterstützung zusagte. Neben dem ehemaligen Teamchef Rudi Völler, Dieter Kürten und Marcel Reif setzten sich auch die BVB-Profis Lars Ricken, Fredi Bobic und später Roman Weidenfeller und Sebastian Kehl für die Ziele ein. Doch trotz der Aufmerksamkeit und der gestiegenen Spenden wurde das Thema sexualisierte Gewalt an Kindern noch größer, denn gegenüber der Anfangszeit des Vereins verschlimmert sich die Lage durch die Machenschaften, die über das Internet laufen, immer weiter.
Durchhalten für echten Erfolg
Als Andreas Nau und seine Geschäftspartner ihre Vision und ihre Werte entwickelt haben, sehen sie endlich Licht am Ende des Tunnels. Sie definieren 3 Grundwerte für das Unternehmen:
»Wir wollen wissentlich das Beste geben, aber wir wissen, nobody’s perfect.«, »Wir sind füreinander miteinander da.« und »Lernt dazu und bringt es ins Unternehmen ein.«
Mit diesen Werten und der Vision für eine gemeinsame Zukunft gehen sie auf die Mitarbeiterschaft zu und präsentieren. 4 Personen gehen, 10 Personen bleiben und wollen den Weg mitgehen. Das Unternehmen fasst neuen Mut, Aufbruchstimmung ist überall zu spüren. Die gemeinsame Vision ist greifbar und in allen Büroräumen zu spüren. Auch Andreas Nau merkt eine Überzeugung bei sich wachsen. Auch die finanziellen Probleme werden gelöst. Wie? Durch einen überzeugenden Auftritt und einem klaren Plan können die Geschäftsführer eine neue Finanzierung bei der Bank erreichen. In der Folge entsteht ein Zukunftsorganigramm, das für alle Mitarbeiter sichtbar ist. Das Ziel: transparent zu zeigen, wie die Organisation in 5 Jahren aussieht und wo die Entwicklungspotenziale jedes Einzelnen liegen. Es gibt regelmäßig Meetings und Abstimmungen. Alle Mitarbeitenden arbeiten in Workshops an ihren persönlichen Werten und Visionen. So wächst das Unternehmen zum Ende des Jahres um 30 %. Seitdem läuft es bei easySoft, im Schnitt wächst das Unternehmen um 17,1 % pro Jahr und über 100 Menschen arbeiten dort. Fachkräftemangel? Bei easySoft das Gegenteil. Es gibt eine Warteliste von Bewerbern.
Und natürlich entwickeln alle neuen Mitarbeitenden in Workshops ihre persönlichen Visionen und Werte. Natürlich ist nicht alles rosarot und auch bei easySoft gibt es Wachstumshürden und auch mal unzufriedene Stimmen. Übrigens, Andreas Nau hat in seinem Büro eine riesige Mindmap aufgehängt. Dort hat er seine Ziele und Schritte manifestiert, sowohl fürs Unternehmen als auch privat – denn eine Vision und ein Plan können die Welt verändern. Das vertritt Andreas mit Überzeugung und die Erfolge geben ihm Recht.
Jochen Reidegeld und das Netzwerk Roter Keil kämpfen gegen Windmühlen. Über 16.000 Fälle sexueller Gewalt an Kindern verzeichnete die Polizei in Deutschland im vergangenen Jahr. Doch trotz dieser unfassbaren und schwierigen Aufgabe, wird das Netzwerk des Roten Keils immer größer. Ehrenamtliche in Städten wie Bottrop, Münster oder Oldenburg arbeiten vor Ort mit. In der Folge werden die Strukturen professioneller und auch an der Kommunikation wird gearbeitet. Er hat eine Organisation geschaffen mit vielen Mitstreitern, die seine Hoffnung und Vision einer sicheren Welt für Kinder teilen. Über 100 Ehrenamtliche und weitere Aktive mit prominenter Unterstützung setzen sich von Herzen für Jungen und Mädchen ein, die von sexueller Gewalt und/ oder Ausbeutung betroffen sind und generieren wichtige Spendengelder.
Auch die Zahlen sind beeindruckend und machen deutlich, was damals aus dem wichtigen Impuls »Ich muss helfen« hervorgegangen ist. Allein im Jahr 2021 wurden mehr als 287.000 € an Projektpartner ausgeschüttet. Es wäre einfach gewesen nur die Augen vor den Problemen zu verschließen, aber nicht für Jochen Reidegeld. Aus einer tiefen Überzeugung kann Gutes entstehen. Das beweist die Geschichte des Roten Keils eindrucksvoll. Und Jochen Reidegeld, könnte man meinen, kann sich nun zurücklehnen, aber von wegen. Er hat die Aktion Hoffnungsschimmer mit ins Leben gerufen. Die Aufgabe: Hilfe vor Ort bei den christlich jesidischen Flüchtlingen in der Türkei und im Nordirak. Menschen in Not zu helfen, ist seine Lebensaufgabe.
Fazit – Bewirkt Überzeugung Wunder?
Die Überzeugung kann keine Wunder bewirken, aber sie kann einem echte Kraft geben und lässt einen Höhen und besonders Tiefen durchstehen. Überzeugungen entstehen manchmal über Nacht und manchmal dauert es Jahre, bis man sie findet. Besonders gut sind Überzeugungen, die man teilen kann und durch Menschen weitergetragen werden. Die Überzeugung lässt einen weitergehen, wo andere aufgeben. Ohne die Überzeugung würde uns etwas fehlen, da sind sich alle sicher.